Farbe, Vielfalt, Toleranz
Karin vom Blog Grüner Leben – Bunter Nähen hat anlässlich des Christopher Street Day zu einer Blog-Parade geladen. Ich freue mich sehr über ihre Einladung und beteilige mich gerne mit Gedanken zu Respekt und Toleranz und einer kleinen Sammlung von Regenbogenprojekten.
Der Christopher Street Day (auch Gay Pride Day) ist ein jährlicher Demonstrationstag Ende Juni, an dem Menschen in bunten Paraden auf die Straßen gehen, um für die Rechte von homo-, bi-, trans- und anderen nicht der heterosexuellen Norm entsprechenden Menschen zu demonstrieren. Karin hat das Thema „Farbe, Vielfalt, Toleranz“ bewusst weit gesteckt und es freigestellt, sich über das engere Thema Sexualität und Gender hinaus Gedanken über Vielfalt und Diversität zu machen.
Bei mir als studierter Ethnologin hat sie mit diesem Thema sozusagen offene Türen eingerannt.
Wer von Euch weiß eigentlich, was Ethnolog/innen (früher „Völkerkundler/innen“, neuerdings auch „Kultur- und Sozialanthropolog/innen“ genannt) tun? Hm? Ich verrate es Euch: Ethnolog/innen versuchen aus einer Innensicht heraus zu verstehen, wie andere Menschengruppen oder Kulturen „ticken“ und diese Erkenntnisse dann so zu „übersetzen“, dass auch andere Menschen diese Sichtweisen verstehen und nachvollziehen können. Ethnolog/innen erforschen eher „die Anderen“ als die eigene Gesellschaft. Ethnologie als Weg zur Völkerverständigung, sozusagen.
Eine ethnologische Sichtweise bedingt Respekt vor anderen Lebens- und Denkweisen. Sie bringt die ganz fundamentale Gewissheit, dass meine Weltsicht für andere Menschen ganz und gar nicht selbstverständlich ist, genauso wenig wie ihre Weltsicht für mich, und dass es daher folgerichtig so etwas wie „die eine, richtige Sichtweise“ auf die Welt nicht gibt. Ethnologisches Forschen setzt Neugierde auf diese anderen Sichtweisen voraus und die Bereitschaft, sich auf völlig neue Erfahrungen einzulassen. Sie erschüttert Selbstverständlichkeiten. Sie birgt die tiefe Erkenntnis, dass alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens und Interagierens (sei es Wirtschaft, Soziales, Religion, Konzepte von Krankheit und wie sie zu heilen wären, Geschlechterrollen, Körperbilder und viele andere mehr) auf so vielfältig verschiedene Arten gedacht und gelebt werden können. Aber dass dabei die meisten Weltbilder in sich stimmig sind.
Trotzdem ist nicht jede Sichtweise auf die Welt gleich gut und gleich-wertig.
Wenn totalitäre Weltbilder mit psychischer (geistiger) und physischer (körperlicher) Gewalt aufgezwungen werden, enden Respekt und Toleranz für diese Weltsicht. Das schließt die „-ismen“ ein (Sexismus, Rassismus, Nationalismus, Fundamentalismus…), die ebenfalls aus der Innensicht stimmig sind und verstanden werden können, die aber nicht respektiert und toleriert werden können, weil sie selbst nicht respektieren und tolerieren.
Denn: Jede Lebensform hat ihre Berechtigung, solange sie anderen mit Respekt und Toleranz begegnet. Und wenn das alle Menschen auf der Welt täten – sich mit Respekt und Toleranz begegnen – bräuchten sie sich nicht andauernd gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wie viel friedlicher wäre das!
Gut, also was lernen wir jetzt aus meinem Ausflug in die Wissenschaft? Dass Ethnolog/innen die besseren Menschenversteher/innen sind? Ja, ohne Zweifel. 😉 Aber auch, dass manche Menschen das von ganz allein können oder es zumindest üben, sich einzulassen auf andere, die eigene Weltsicht zu relativieren. Aber die allermeisten Menschen auf dieser Welt sehen ihre jeweils eigene Weltsicht als die beste und einzig wahre an. Sie fürchten sich vor der/die/das Fremde (auch wenn sie es nicht zugeben) oder fühlen sich sogar bedroht. Ist tatsächlich auf der ganzen Welt so! Heißt: Es ist meist ein Lernprozess, sich auf das Ungewohnte, Unbekannte einzulassen. Und das dauert seine Zeit, und dazu braucht es Willen und auch Übung. Der Prozess kann aber auch Spaß machen und ist im Endeffekt jedenfalls sehr bereichernd.
Dass dieser Prozess – jetzt wieder bezogen auf Sexualität – selbst im 21. Jahrhundert, selbst im ach-so-fortschrittlichen Europa, noch lange nicht abgeschlossen ist, wird allein schon daran deutlich, dass „Schwuler“ unter Schülern immer noch ein Schimpfwort ist. Das ist ein weiter Weg zu Respekt und Toleranz in unserer Gesellschaft! Aber es gibt auch gute Zeichen! Und mögen unsere Gesellschaften vorwärts schreiten und nicht etwa wieder zurück in finstere Zeiten, oder seitwärts in eine andere heutige Gesellschaft, in der Menschen, die nicht der Norm gemäß lieben (was für ein absurder Gedanke eigentlich), nicht dieselben Rechte und Anerkennung haben wie heterosexuell lebende Menschen. Oder in der sie sogar verfolgt werden.
Also, wie die liebe Sabrina von Stitched Teacups letztens in ihrem Blogpost 10 Fakten über mich und die Liebe so schön geschrieben hat (so schön, dass es von mir sein könnte 😉 ):
Es ist mir in Sachen Liebe herzlich egal, wer da eigentlich mit wem verbunden ist. Frauen mit Frauen, Frauen mit Männern, Männer mit Männern, mehr als zwei Menschen? Das ist mir alles herzlich egal, so lange alle Beteiligten sich freiwillig und aus vollem Herzen auf ihre jeweilige Konstellation einlassen. Liebe ist Liebe.
Friedensbewegungen und LGBTI-Bewegungen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) gleichermaßen schwingen Regenbogenfahnen. Ich mag den Regenbogen als Symbol für Frieden, Vielfalt und Toleranz und wegen seiner kräftigen, bunten Farben. Schon seit Langem sammle ich Projekte mit Regenbogen und habe zum Anlass einige auf einer Pinterest-Wand zusammengetragen:
Also: Ihr alle, Ihr Bloggerinnen, die Ihr hier mitlest, habt noch bis bis 31. Juli 2017 Zeit, ein buntes DIY- oder Fotoprojekt aus Eurer Schatzkiste auszugraben oder neu umzusetzen und (mit oder ohne schlaue Gedanken) bei Karins bunter Linkparty zu verlinken!
Macht die Welt bunt! Und habt Euch lieb!
Schaut unbedingt auch bei den anderen Blog-Parade-Bloggerinnen vorbei, da findet Ihr spannende Beiträge:
- Karin zeigt in ihrem Startpost einen Regenbogen-Schlafanzug und berichtet über den steinigen Weg zur Adoption ihres Sohnes. Im zweiten Beitrag zeigt sie ein gehäkeltes Körbchen und schreibt über das Thema „Coming Out“.
- Nicole hat afrikanischen Waxprint zu einem Kimono vernäht. Ihr sind sexuelle Orientierung, Herkunft und Hautfarbe gleichermaßen egal, weil sie das Miteinander der Menschen in den Vordergrund stellt.
- Susanne präsentiert bunte, stolze, lustige, vielfältige Fotos von der CSD-Parade in Wien und fordert, dass die Mächtigen die Ohn-Mächtigen unterstützen. Müssen.
- Crissie hat ein schlicht-buntes Kleid genäht und denkt über Toleranz, Offenheit und Empathie nach.
- Lisa zeigt in ihrem ersten Beitrag ein Flying-Geese-Regenbogen-Quilt-Top und einen ganz entzückenden Comic über „Official Pride Animals“. Im zweiten Beitrag macht sie sich mit Hilfe von bunten Filzwichteln Gedanken über Norm und Abweichung und singt sogar ein Lied(!). Sie stellt das Gender-Einhorn vor, mit dem die gewohnte Dichotomie von männlich-weiblich in unterschiedliche Facetten aufgebrochen wird. Spannend.
- Julia erzählt eine traurige und eine fröhliche Geschichte und ist unter die Guerilla-Strickerinnen gegangen.
- Jule persifliert biederes Bürgertum mit einem Regenbogeneinhorn-Kreuzstich-Bild.
- Sabrina erzählt von den Qualen ihres ehemaligen WG-Kollegen und hat ein Hexie-Kissen gestichelt.
- Und Daniela hat einen bunten Rockschutz fürs Rad gehäkelt und beendet die Runde mit solidarischen Worten.
Verlinkt bei
(Heute wird nach langer Zeit wieder einmal geRUMSt, weil ich tatsächlich alle die hier vorgestellten DIY-projekte für mich gemacht habe.)
Pingback: Rückblick auf die CSD-Link-Parade 2017! Pride :-) – Grüner Nähen – Bunter Leben
Toller Beitrag liebe Gabi, wirklich wundervoll geschrieben.
Liebe Grüße, Daniela
Danke Daniela!
Liebe Gabi,
danke für Deine Gedanken und Dein Mitnehmen in die Ethnologie. Grad in der Erziehung der Kinder merke ich, wie ich selber geprägt bin. Welche Sicht auf die Welt, auf die Gesellschaft, gebe ich weiter? Nur das, was mich selber geprägt hat oder überdenke ich gewisse Sichtweisen auf die Welt? Repekt vor dem „anderen“ ist mir wichtig, aber auch das kritische Auseinandersetzen mit Sichtweisen, die mir nicht gefallen – da werde ich noch öfters in Deinem Blogpost nachlesen.
Liebe Grüße
Ines
Liebe Ines, danke für Deinen Kommentar! Ich wollte noch sagen, dass das alles den meisten Menschen ganz und gar nicht leicht fällt, dieses auf andere eingehen, auch empathisch mitfühlen, Sichtweisen wechseln. Nicht mal denen, die das geübt haben oder üben! Also in der Theorie ist das ja super, aber im alltäglichen Leben gibt es so viele Normen und Routinen, die den Alltag erleichtern, dass Ungewohntes trotz allem häufig irritiert. Und alles, was nicht gewohnt ist, muss man ausverhandeln mit sich selbst und den anderen, und dann ist es auch so wichtig, sich selbst gut zu kennen und zu spüren, wo die eigenen Grenzen sind und was man noch tolerieren kann und mag und wo es zu viel wird und man Stopp sagen muss. Also alles nicht so einfach, aber jedenfalls einen Versuch wert, wenn es ein besseres Miteinander ergibt! Schön, wenn Du die Augen offen hältst. lg, Gabi
Du hast mit diesem Beitrag gehadert? Echt jetzt? Ich habe den beim Lesen nämlich von oben bis unten heftig gefeiert. Was für eine großartige Brücke, die du da schlägst. Was für tolle Werkeleien du zeigst (ich möchte bunt backen!).
Dass du mich dann auch noch zitiert hast, inmitten all dieser klugen Worte, hat mir ein Rührungstränchen in die Augen getrieben. Danke auch dafür.
Alles Liebe,
Sabrina
Ja, echt jetzt, ich habe gehadert. Zum Glück hatte ich den Beitrag schon zum Großteil geschrieben, BEVOR ich die davor veröffentlichten Beiträge der anderen gelesen hatte, sonst hätte ich mich wahrscheinlich in eine größere Schreibblockade hineinmanövriert. Manchmal, wenn ich nicht aufpasse, schlägt meine alte Bekannte namens „Das-ist-alles-nicht-gut-genug“ heimtückisch zu. Ich danke Dir für Deine Worte, die Worte hier und auch die, die ich von Dir zitieren durfte. Schön, dass wir bei dieser kleinen, feinen Aktion dabei sind! lg, Gabi
PS: Ach ja, bunt backen: Nur zu! Zum Rezept kommst du über meinen ursprünglichen Beitrag (aufs Bild klicken), auf der Quell-Webseite „amerikanisch Kochen“ haben sie auch noch eine regenbogenbunte Roulade und eine regenbogenbunte Torte fabriziert. Man muss nur aufpassen, dass man backfeste Farben dafür verwendet.
Pingback: Coming Out auf dem Land – Oder: Wo ist der Regenbogen? – Grüner Nähen – Bunter Leben
Liebe Gabi, dein Beitrag ist großartig!! Man glaubt ja immer, man weiß alles! Ethnologie hab ich ja schon gehört. Völkerkunde, was sonst? Aber erst jetzt hab ich verstanden, dass mein Wissen darüber gleich null ist. Danke für diesen Beitrag, ich habe so viel dazu gelernt! Deine Fotos finde ich übrigens auch genial! Rainbows everywhere! und die Tasche HAMMER!!!!
Liebsten Grüße!
Susanna
Liebe Susanna, danke für Deine Begeisterung! Sowohl was das Fach als auch was die Tasche anbelangt. 🙂 lg, Gabi
Dem ist nichts hinzuzufügen und Ethnologie finde ich eh sehr spannend. Und die Tasche finde ich sehr cool. Liebe Grüße Ingrid
Na „eh sehr spannend“ klingt jetzt aber nicht so begeistert (muss es aber auch nicht). Ja, bei der Tasche hab ich mich damals diebisch über die Verwendung des alten Regenschirmes gefreut. lg, Gabi
Liebe Gabi, danke, danke, danke! Wer Deinen Beitrag liest, will sofort Ethnologie studieren – mir geht es zumindest so. Und Du bist nicht nur eine sehr gute, kluge Menschenversteherin, sondern auch eine sehr talentierte Näherin, Handarbeiterin und Bastlerin. Wenn das zusammenkommt, ist das ein großes Geschenk für jede_n, der hier vorbei kommt.
Die Muffins sind ja wohl der Hammer! Aber auch die Tasche – großartig. „Es ist meist ein Lernprozess, sich auf das Unbekannte einzulassen.“ Du trägst mit Deinem Blog ein großes Stück dazu bei, dass das so mancher Leserin oder so manchem Leser ein bisschen leichter fällt… Ich danke Dir sehr für diesen wundervollen Beitrag, jeden einzelnen Gedanken! Allerliebste Grüße! Karin
Oje, noch eine arbeitslose Ethnologin mehr… 😉 Aber nein, im Ernst, wenn ich früher das berühmte: „Und was machst du dann mit diesem Studium?“ gehört habe und dann sagte: „Man lernt in den Geisteswissenschaften fürs Leben!“, dann hätte ich mir nie gedacht, wie sehr das auf mein Studium zutrifft. Man lernt da vor allem eine gewisse Geisteshaltung, einen Blickwinkel und jede Menge qualitative Forschungsmethoden. Auch wenn ich heute Computerworkshops für Frauen gebe und tw. Firmen bei Social Media Strategien berate, kann ich das damals Gelernte immer wieder äußerst gut brauchen.
Über Deine Worte freue ich mich sehr, sie machen mich fast ein bisschen verlegen. Und ich freu mich, dass Du Dich freust. Ich habe ein bisschen mit meinem Beitrag gehadert, weil er schon ziemlich kopflastig und theoretisch und wenig Eigen-Erfahrungs-mäßig daherkommt. Jetzt bin ich aber schon zufriedener als gleich nach dem Schreiben.
Danke, dass Du diese Aktion auf die Beine gestellt hast! Ich wünsche Dir, dass noch viele mitmachen und sich verlinken. Ich werde weiterhin kräftig Werbung machen! lg, Gabi