Eine Reise mit Nadeln (1)
Was ist los auf diesem Blog? Wochenlange Funkstille, ausgelöst durch eine Reise in die Provence und prolongiert durch andere frühsommerliche Aktivitäten, die mich von Blog, Nähmaschine und Stricknadeln fern gehalten haben. Aber auch wenn es schon fast nicht mehr wahr ist: Heute kommt endlich der erste Teil des Reiseberichtes zum Textilkunst-Festival in der Provence, den ich einigen von Euch schon vor Wochen versprochen habe.
Die Vorgeschichte
Vor ein paar Jahren hatte ich eines Samstags, am Heimweg vom wöchentlichen Großeinkauf, eine Vision: „Ich biege jetzt hier auf die Autobahn ab und fahre in die Provence, zur Lavendelblüte.“ Hab ich damals nicht gemacht, schade eigentlich. 😉 Aber mir die Lavendelblüte in der Provence anzuschauen, hat mich seit damals verfolgt.
Und als im Jänner eine Bekannte in ihrem Blog auf das Textilkunst-Treffen Aiguilles en Luberon („Nadeln im Luberon“) in der Provence hinwies, war das der perfekte Anlass, meine Vision nicht ganz so spontan aber mit viel Freude umzusetzen.
Ich patchworke ja derzeit gar nicht? (Obwohl: Ideen hätte ich viele…) Wurscht. Mitte Mai blüht noch kein Lavendel in der Provence? Wurscht. Viel Geld ausgeben für nur fünf Tage Reise? Wurscht. Viel Zeit auf der Fahrt im Zug verbringen für dann relativ wenig Zeit vor Ort? Wurscht. Ich liebe ja lange Bahnfahrten: Aus dem Zugfenster schauen, schlafen, schreiben, lesen, stricken. Das verlängerte Wochenende rund um Christi Himmelfahrt war noch unverplant, und der Weg sollte das Ziel sein: Allein unterwegs. Der Göttergatte sagte: „Fahr doch! Es wird dir gut tun.“ Eine Woche später habe ich die Bahnkarten gekauft, um keine Ausrede mehr zu haben.
Ein Kurzurlaub, fünf Tage, ich ganz allein. Mit sehr viel Glücksgefühl im Bauch habe ich mich aufgemacht, mich um 15 Jahre zurück versetzt gefühlt, in Erinnerung an meine früheren Reisen allein. Unterwegs sein. Und ich sage Euch: Es war herrlich! Am Mittwoch Abend mit dem Nachtzug von Graz nach Zürich und weiter nach Genf, wo ich 24 Stunden bei und mit der lieben Uschi verbringen durfte. Am Freitag dann weiter nach Aix en Provence und von dort in die Kleinstadt Pertuis, wo ich eine halbwegs günstige Unterkunft gefunden hatte. Am Sonntag retour. Einfach unterwegs sein, ohne Stress, ohne Druck, nur für mich allein zuständig. Ich merke, jetzt, wo ich darüber schreibe: Ich zehre immer noch und immer wieder von diesen paar herrlichen Tagen.
Die Region
Voraussetzung: Man sollte Französisch können. Und man braucht vor Ort ein Auto, vor allem am Wochenende und wenn man nicht viel Zeit hat.
Das Festival findet seit 2009 alle zwei Jahre in der Region „Luberon“ statt, in mehreren Ortschaften, die jeweils einige Kilometer voneinander entfernt liegen.
Luberon heißt eine Gebirgskette aus Kalksteinfelsen, beliebt bei WeinliebhaberInnen und bei sportlichen IndividualtouristInnen zum Klettern und Mountainbiken. Ein geschützter Naturpark ausgestattet mit Eichenwäldern, Weinbergen, Lavendelfeldern und Dörfern, die pittoresk auf Felsen thronen. Es wirkt alles befestigt, alles massiv, aus Stein.
Der Tourismus wirbt im Internet mit „abgelegene Gegend“, und da hätte es eigentlich schon bei mir klingeln müssen. In abgelegenen Gegenden (sprich: am Land) gibt es normalerweise kein gutes öffentliches Verkehrsnetz. Und richtig: Am Wochenende überhaupt keine vernünftigen Busverbindungen. Schade eigentlich, dass es für das Textilkunst-Festival keine Sammeltaxis gibt, oder Kleinbusse, die die Dörfer während des Festivals der Runde nach abfahren. Ich habe mich erkundigt: Für die Organisatorinnen des Festivals wäre das zu viel Aufwand und mit zu hohen Kosten verbunden. Also muss man individuell motorisiert sein – oder mit dem Rad unterwegs, wer so sportlich ist und mehr Zeit hat.
Ich konnte am Samstag Vormittag in Pertuis zum Glück noch ein Leihauto auftreiben und zumindest drei Dörfer erkunden. (Beim nächsten Mal nehme ich mir gleich in Aix en Provence ein Leihauto.)
Der Freitag war kalt und regnerisch, aber der Samstag mit strahlend blauem Himmel und Sonnenschein, warm und leicht windig. Sonne trinken und Wind trinken und Aussichten in mich reinsaugen und einen guten regionalen Wein auch noch genüßlich schlürfen. So schön.
Ich fahre zwischen den Dörfern über verlassene Nebenstraßen durch die karstigen, kalkigen Hügel. Im Schritttempo (was keinen stört, weil keiner unterwegs ist), damit ich mehr schauen kann. Der Klatschmohn (aber noch nicht der Lavendel) blüht überall in den Getreidefeldern und am Straßenrand, und andere Blümchen, schüttere blaue Blumenteppiche, blühen wo nicht so viel Erde ist. Eine karge Landschaft, aber auch sehr grün im Mai. Ich halte bei einem Felsen, fotografiere den Blumenteppich, sitze auf einem Stein und höre dem Wind zu, der durch die Nadelbäume rauscht. Sonst ist es mucksmäuschenstill. In der Viertelstunde, die ich da sitze, kommt kein einziges anderes Auto vorbei.
Schön ist das. Ich bin unterwegs, ich habe zwar ein Ziel (ich möchte mir was anschauen), aber ich habe keinen Stress, keinen Termin, muss nicht zu einem genauen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein, und ich muss auch nicht alles sehen, was es auf diesem Festival zu sehen gäbe (was auch zeitlich gar nicht möglich gewesen wäre).
Das 4. „internationale Patchwork- und Textilkunst-Treffen“ (Das Festival)
Das Festival Aiguilles en Luberon ist ziemlich umfangreich: Es gab insgesamt 33 Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern in 13 Orten, hier in der Kirche, da im Gemeindesaal und dort auf einem Landgut. Patchwork und Quilting im klassischen Sinn, aber auch Applikationen, moderne Stickerei, neue Interpretationen von Textilkunst; gestaltet von Hobby-Näherinnen, von Vereinen, aber auch von KünstlerInnen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ein Wettbewerb (2015 zum Thema „Rouge coquelicot“ – „Mohn-Rot“). Ein Seminarprogramm mit Kursen zum Sticken, Patchwork, Stoffmalerei und Applikation – facettenreiche Textil-Kunst. Das Ganze ergänzt durch zwei Verkaufsausstellungen, bei denen es Näh- und Stickmaschinen zum Ausprobieren gab, sowie Stoffe, Garne, Knöpfe und alles mögliche Näh-Zubehör zu kaufen.
Ich finde es sehr toll, was für ein umfangreiches Programm eine Handvoll Frauen aus der Region da alle zwei Jahre auf die Beine stellt!
Das Programm inklusive Informationen zu allen AusstellerInnen war zwar bereits vorab auf der Festival-Homepage zu finden, allerdings dermaßen umfangreich, dass ich mir vornahm, mit Gelassenheit einfach vor Ort zu schauen, wo es mich hinverschlagen würde und was ich in der beschränkten Zeit schaffen könnte.
Hier ein paar Impressionen von den Ausstellungen, die ich mir angesehen habe und den Sachen, die mir dort gefallen haben.
Verkaufsaustellung (Le pôle des commerçants) in La Tour d’Aigues
Eine bunte Verkaufsausstellung und ein Weltrekord-Quilt. Die Dame möchte den Quilt mit den meisten einzelnen Stoffstücken (124.800 an der Zahl) erschaffen. Der Quilt ist zumindest groß. Ob auch schön, darüber lässt sich meiner Meinung nach streiten.
Ausstellung 17: „Club de patchwork de Mirabeau“ im „Salle de Vivre au Village“ in Mirabeau
Drei ältere Frauen sitzen hinter einem Tisch und unterhalten sich. Eine davon quiltet feinst, mit Miniatur-Stichen, ein Werkstück weiß in weiß mit der Hand. Ihr Ehemann sagt: „Je suis temoin!“ – er war Zeuge, als sie das Werkstück, das gegenüber hängt, gemacht hat. Abend für Abend, über Monate hinweg, neben dem Fernsehen.
Der Patchwork-Club von Mirabeau stellte eigene Werke und welche aus den Sammlungen der beteiligten Frauen aus. Besonders beeindruckt hat mich der riesengroße Mennonitenquilt aus Kanada, der zur Gänze mit der Hand gequiltet ist.
Morgen geht’s weiter mit Teil 2 meines Reiseberichtes!
Festival-Webseite: Aiguilles en Luberon 2015
Liebe Gabi, da staune ich aber über deine Spontanität. Danke für den Bericht und die tollen Fotos!
Und dir, liebe Elisabeth, danke für den Hinweis auf das Festival! Sonst wäre ich dort wahrscheinlich nie hingekommen.