UFO #2: Maschinennähen ohne Strom?

Die Wertheim geht in Betrieb

Vor vielen Jahren habe ich bei der Caritas in Wien eine alte Nähmaschine von Wertheim erstanden. Der Lederriemen für den Fußantrieb war ausgeleiert, die Enden ausgerissen, und die hölzerne Führungsschiene der kleinen Lade war gebrochen, aber ansonsten schien die Maschine in Ordnung. Eine Unterfadenspule und eine einzige Nadel waren auch mit dabei.

Bei jedem Umzug habe ich sie mitgeschleppt, meine Wertheim, immer mit dem Vorsatz sie wirklich einmal in Betrieb zu nehmen. Weil ich nützliche alte Sachen mag (kleiner nostalgischer Zug). Weil mich die Idee, ohne Strom mit der Maschine zu nähen, fasziniert. Und weil ich gehört hatte, dass besonders dicke Nähstücke (z.B. aus mehrlagigem Jeansstoff oder Leder) sehr gut auf so alten Maschinen zu nähen gingen.

Anhand der Seriennummer habe ich bei meinen Recherchen feststellen können, dass meine Maschine ca. 1880 gebaut wurde.

Edit: Ich habe zuerst eine andere Nummer fälschlicherweise als Seriennummer interpretiert. Ich wollte meine Annahme überprüfen und habe bei Herrn Engel von naemaschmiede.de angefragt: Meine Maschine mit der Seriennummer „S6 735423“ stammt laut der Tabelle hier von 1901.

Sie ist also über hundert Jahre alt. Sie kann nur geradeaus nähen – kein Zickzack, keine 250 Zierstiche, gar nix. Nur geradeaus. Aber das kann sie noch immer! (Wird man das in hundert Jahren auch von unseren heutigen Plastik-Nähmaschinen sagen können?)

Ich bin total verliebt in sie.

Die Goldfarbe ist offensichtlich vom vielen Gebrauch abgewetzt. Ich mag das. Und die Perlmutteinlagen glänzen. Ein Nähmaschinen-Sammler schreibt auf seiner Webseite (unter dem Stichwort „Japanning“), dass nur die teuersten Nähmaschinen der damaligen Zeit Perlmutt-Einlagen hatten, weil die extrem arbeitsaufwändig und dadurch kostspielig herzustellen waren.

Vor Jahren konnte ich auch über ein Internet-Forum eine Bedienungsanleitung auftreiben, zwar nicht genau für mein Wertheim-Modell „Syst. 182“ sondern für eine Nähmaschine von Gritzner, aber der Großteil der Anleitung passt sehr gut. Als ich nun im Rahmen von Großstadtmonsters Kampf den UFOs! die Wertheim angehen wollte, dachte ich, es würde bloß zwei bis drei Stunden Beschäftigung mit Maschine und Anleitung benötigen, um sie wirklich in Betrieb nehmen zu können.

In Wirklichkeit hat es viele Stunden Internet-Recherche, Studieren der Bedienungsanleitung kombiniert mit YouTube-Videos-Schauen und Herumtüfteln gebraucht. (Irgendwie habe ich gar keine Videos auf Deutsch, und auch keine konkret für meine Maschine gefunden. Das wäre mal eine Aufgabe.)

Dazwischen gab es eine Schrecksekunde, als ich die einzige Nähnadel, die ich besitze, nicht mehr fand und feststellen musste, dass moderne Nähnadeln nicht passen. Ohne Nadel ist schlecht nähen…

Aber dann ist sie wieder aufgetaucht. Und nachdem ich die erste Probenaht mit der geputzten und frisch geölten Wertheim gemacht hatte, habe ich einen Freudentanz, gespickt mit kleinen, spitzen Jubelrufen aufgeführt. Die Tochter stand daneben, die Hände in die Hüften gestützt, die Augen verdrehend, mit leicht tadelndem Unterton: „Mama! Bitte schrei hier nicht so herum.“

Ach was. So einen Freutag muss ich eben gehörig rausjauchzen. Und während die Tochter jetzt zu einem Kindergeburtstag unterwegs ist, nutze ich die Gunst der Stunde (allein zu Hause) und tanze hier noch ein bisschen weiter.

Resumé von UFO #2

Noch ist mein Projekt „Wertheim“ nicht ganz abgeschlossen, aber ich bin sehr zufrieden mit dem Zwischenergebnis!

Erledigt:

  • Einen neuen Lederriemen kaufen, die Länge anpassen und ihn einspannen
  • Eine neue Führungsschiene für die Lade basteln
  • Die Maschine putzen
  • Die Maschine ölen
  • Klären: Wie befüllt man die Unterfadenspule?
  • Klären: Wie fädelt man den Unterfaden in das Schiffchen ein?
  • Klären: Wie fädelt man den Oberfaden ein?
  • Nähen probieren

Offen:

  • Ausprobieren und Tüfteln: Warum reißt der Oberfaden regelmäßig nach 2 cm Nähen? Was kann ich dagegen tun?
  • How-to Videos drehen
  • Die Holz-Oberfläche vorsichtig anschleifen und neu lasieren
  • Eventuell die Goldbemalung des gusseisernen Gestells ausbessern
  • Mehr passende Nadeln auftreiben, wenn möglich in verschiedenen Stärken
  • Mehr Unterfadenspulen auftreiben (oder 3D-drucken lassen?)
  • Eine neue Hartgummirolle für den Spuler auftreiben (oder 3D-drucken lassen?)
  • Eventuell mehr Nähfüßchen und anderes altes Zubehör auftreiben

Hat jemand eine Idee, wo ich Nadeln, Unterfadenspulen und Zubehör für diese Maschine herbekommen könnte? Kennt jemand jemanden, oder hat vielleicht selbst Sachen zu Hause, die er/sie nicht mehr braucht? Für Tipps und Kommentare unten wäre ich Euch sehr dankbar!

Und wie steht’s bei Euch? Näht sonst noch jemand auf so einer alten Maschine und möchte seine/ihre Erfahrungen teilen? Ich freue mich über jeden Beitrag in den Kommentaren!

–> Zu meiner UFO-Übersicht

19 Kommentare zu „UFO #2: Maschinennähen ohne Strom?“

  1. Ich glaube 2015 habe ich noch nicht bei dir gelesen oder es verpasst, jedenfalls hat mich der Artikel jetzt ungemein gefreut. Auf einer „Naumann“ mit Fußschaukel habe ich mit 13 Jahren nähen gelernt. Leider ist die Maschine im elterlichen Haushalt irgendwann verschwunden. vielleicht schickst du mir ein Foto der Nadel, denn auf alte Nähartikel habe ich immer ein Auge!!! falls du die Maschine noch hast!
    Und tatsächlich habe ich mit Ihr Leder und Jeans genäht, ging wunderbar. Unsere Maschinen funktionieren bis auf wenige Typen in 100 Jahren nicht mehr.
    viele Grüße Karen

    1. Oh! Deine Rückmeldung auf diesen uralten Blogpost freut mich jetzt sehr!
      Ich habe letzte oder vorletzte Woche einen uralten Blogpost bei Constanze kommentiert, eine Stoffspielerei über Bargello Stickerei.
      Hier zeigen sich die Vorteile eines langlebigen Blogs gegenüber kurzlebigen Social Media am deutlichsten.
      Die Maschine habe ich noch! Auch wenn sie mehr als Ablage für Bügelwäsche dient. Ein Foto der Nadel schicke ich dir gern, sobald ich aus dem Urlaub zurück bin.
      Liebe Grüße, Gabi

  2. Pingback: Nähfuß-Reportage Teil 3 - made with Blümchen

  3. Pingback: Staubhülle für die Nähmaschine | made with Blümchen

  4. Ich hab auch eine alte Maschine, eine Singer von 1927, die man sogar in den Tisch versenken kann. Die liebe ich auch heiß und innig. Die kann sogar 12-fach gelegten Jeansstoff nähen! Meine Mutter hat damit früher auch unsere Baumwollzelte repariert, das hat sie alles klaglos mitgemacht. Neuere Maschinen hätten da wohl schon den Geist aufgegeben…
    Ich wünsch Dir viel Spaß mit Deiner Maschine! Hast Du denn das Oberfaden-Problem inzwischen in den Griff bekommen?

    1. Gell, so alte Maschinen sind einfach toll! Nein, das Problem mit dem Faden reißen habe ich leider noch nicht in den Griff bekommen. (Könnte auch daran liegen, dass ich mich in den letzten Monaten nicht mit der Maschine beschäftigt habe.) Aber jetzt habe ich ein Projekt, das ich gerne auf der Maschine nähen möchte. Da werde ich einen neuen Anlauf starten. Hast du eine Idee, woran das liegen könnte und eventuell einen Tipp? lg, Gabi

      1. Am besten wäre sicher, wenn sich jemand, der sich ein bißchen auskennt, die Maschine angucken kann. Ich wohne leider zu weit weg, das wird nix.

        Ich würde mal schauen
        – wie die Oberfadenspannung eingestellt ist (das müssten zwei Metallscheiben sein, die durch eine konische Spiralfeder zusammengedrückt werden, aussen an der Maschine)
        – ob alles sauber und flusenfrei ist (auch unten, wo die Unterfadenspule sitzt) und alle ölbaren Stellen ölen
        – die unterfadenspannung prüfen (die kann man an einem Schräubchen an der Spulenkapsel verstellen) – aber noch nicht zu früh verstellen! Und wenn, dann immer aufschreiben, wie viel (halbe) Drehungen in welche Richtung! Sonst kriegt man die vorige Einstellung nicht mehr hin, wenn die Änderung doch nichts gebracht hat.
        – wie die Maschine die Stiche bildet. Dazu die Abdeckung des Fachs für die Unterfadenspule offenlassen und langsam am Handrad drehen, um zu beobachten, was passiert. Manchmal erwischt die Nadel die Stichschlaufen nicht richtig, oder sticht durch den Faden oder sowas.

        1. Oh super, deine Tipps hören sich ja mega-hilfreich an! Sauber, flusenfrei und geölt ist sie, das weiß ich schon. Als nächstes werde ich mit Ober- und Unterfadenspannung experimentieren (was sehr spannend wird, weil ich nicht mal bei meiner normalen Nähmaschine immer so ganz sicher bin, was wie eingestellt gehört,… aber gut), und dann bilde ich mir irgendwie ein, dass die Nadel eventuell zu kurz ist und das Schiffchen die Schlaufe des Oberfadens gar nicht gut greifen kann. Aber dass der Faden reißt hat wahrscheinlich wirklich eher mit der Fadenspannung zu tun. Oder damit, dass die Nadel zu alt ist und eine scharfe Kante hat, an der der Faden entlangschrappt. Irgendwo in einer sehr alten Anleitung habe ich gelesen, man soll das Öhr von Zeit zu Zeit mit einem feinen Sandpapier glattschmirgeln… Viele Möglichkeiten. Ein klarer Fall für Gabi-die-Tüftlerin! Jetzt habe ich dann bald mehr Zeit, und es wird wieder einmal Zeit, mich mit der Maschine zu beschäftigen. Es gibt ein paar Projekte, die ich gern damit nähen möchte. Unter anderem möchte ich auch Freihandquilten darauf ausprobieren. Ich stell mir das toll vor, mit dem großen Tisch, das müsste super gehen! Vielen lieben Dank, dass Du nochmal an mich gedacht und nochmal kommentiert hast, ich weiß das zu schätzen! lg, Gabi (PS: Hast du einen Blog? Wenn ja welchen?)

          1. Was für eine Nadel hast Du denn?
            Bei vielen alten Maschinen werden Nadeln gebraucht, wo der Kolben auf einer Seite abgeflacht ist. Hat Deine auch so eine? Wenn ja: die gibt es noch! Vielleicht nicht überall, aber die gibt’s. Und mehr als eine Nadel braucht man definitiv, manchmal bricht einem ja auch mal eine ab. Oder man möchte eine andere Stärke verwenden, z.B. eine Jeansnadel für Jeans. Und ja, auch diese Spezialnadeln gibt’s für die alten Maschinen, vorausgesetzt Deine braucht auch die Variante mit dem auf einer Seite abgeflachten Kolben.

          2. Die Originalnadel, die dabei war, ist gänzlich rund, ohne abgeflachte Seite. Ich hab schon über einen Spezialversand für alte Nähmaschinen in England probiert, solche zu bekommen, bisher aber ohne Erfolg. Vielleicht versuche ich’s mal in Südamerika. Ich weiß, dass dort noch ganz viele alte Tretmaschinen im Einsatz sind. Aber zunächst experimentiere ich noch mit dem, was hier vorhanden ist.

          3. G**gle mal nach „Nähmaschinennadeln Rundkolben“, da findet man ganz viel.
            Vergessen: Blog hab ich keinen, das würde meine Kapazitäten übersteigen, glaube ich.

          4. Aaaah…! Wenn man das passende Vokabular kennt, ist das natürlich einfacher! (Die Nähnadel kann man übrigens oben in der Fotogalerie sehen.)

      2. Ach herrjeh, ich hab grad mal in der Bedienungsanleitung geschnüffelt, die Du verlinkt hast. Das Ding hat ja ein Längsschiffchen! Diese Konstruktion ist wohl empfindlicher und fehleranfälliger als die später üblichen Rundschiffchen (das ist das Unterspulengehäuse). Dazu weiß ich nur, daß wir die Maschine einer Freunding vor Jahren da auch nicht zum fehlerfreien Laufen bekommen haben. Ich bin aber auch kein Spezi, deswegen sollte man das noch nicht völlig aufgeben. Aber Du wirst wahrscheinlich wirklich jemanden brauchen, der sich auskennt.

  5. Oh hörst du mich mitjauchzen. Das ist ja so toll. Am liebsten würde ich gleich rum kommen und mit probieren. Wie toll, dass du die super schöne alte Maschine wieder hingekriegt hast. Die näht auch bestimmt in 100 Jahren immernoch. LG maika

    1. Liebe Maika, vielen Dank fürs Mitfreuen! Schade, dass Berlin nicht grade ums Eck von Graz liegt, aber wer weiß… Die Maschine wird hier sicher noch länger rumstehen.
      Ganz liebe Grüße, Gabi

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