Kreuzstich, gar nicht brav

Letzte Woche habe ich meinen allerersten Live-Handarbeits-Workshop gegeben! Beim subversiven Kreuzstich kombiniert man klassische Motive wie Blümchen, Herzchen und Schmuckbordüren mit knackigen, saftigen, bösartigen oder auch witzigen Sprüchen. Das hat großen Spaß gemacht! Und ist eine feine Art, jedweden Unmut oder Groll zu kanalisieren.

Ein paar Bilder vom Workshop

Im Grazer Volkskundemuseum ist derzeit, und noch bis 31. Mai 2025, eine tolle Sonderausstellung über Kreuzstich zu sehen. Die Wände und Vitrinen im Ausstellungsraum sind chronologisch mit Mustertüchern behängt. Das älteste stammt von Ende des 18. Jahrhunderts, das neueste aus den 1950er Jahren. Die ersten Tücher sind sehr bunt, kräftig, mit teilweise dreidimensional-plastischen Motiven.

Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es einen Bruch: Roter Faden auf weißem Stoffgrund wird zum Standard, den alle Mädchen auch im Schulunterricht lernen müssen. Die Motive werden abstrakter und formaler. Und das, was wir heute als „traditionellen alpenlädischen Kreuzstich“ kennen, begann als Konstrukt, von dem behauptet wurde, es entspräche dem „deutschen Wesen“ besser. Die vorangegangenen Mustertücher wurden plötzlich als zu romantisch und zu verspielt wahrgenommen und abgelehnt.

Sprich: In Kreuzsticharbeiten steckt eine politische Dimension.

Von der Tradition zur Rebellion

Subversive Cross Stitch® ist eine moderne Form der traditionellen Kreuzstich-Stickerei, die ihren Ursprung in den frühen 2000er-Jahren hat, als sich eine wachsende Anzahl von Künstler:innen und Kunsthandwerker:innen gegen die konventionellen Normen der Stickerei wandte. Auf den ersten Blick wirken diese Handarbeiten konventionell: gewohnt präzise gearbeitet und mit herkömmlichen Motiven wie Blümchen oder Herzen geschmückt. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die kritische, provokative, humorvolle oder politische Botschaft.

Diese Kunstform hat eine wachsende Anhängerschaft gefunden. Sie zeigt, dass Stickerei weit mehr sein kann als nur ein dekoratives Handwerk. In unsere Welt, die zunehmend von digitalen Medien dominiert wird, ist Subversive Cross Stitch® eine handgemachte, persönliche Ausdrucksform, die gleichzeitig provozieren und amüsieren kann. Subversiver Kreuzstich spielt mit der Lust am Schimpfen, mit dem Dampf ablassen, mit dem Humor, der alles ein bisschen leichter macht.

Die Bewegung wurde maßgeblich von Julie Jackson beeinflusst, die 2004 das Buch „Subversive Cross Stitch: 33 Designs for Your Surly Side“ veröffentlichte, und die sich auch die Markenrechte an dem Begriff sicherte. (Original von 2013, ISBN: 9780811853477. Es gibt eine erweiterte Neuauflage des Buches von 2021),

Mit ihrem Buch und ihrer Website subversivecrossstitch.com hat sie vielen Menschen das Konzept nahegebracht und eine Community von Sticker:innen inspiriert.

Diese Sprüche stehen in starkem Kontrast zu den oft sentimentalen oder frommen Texten, die in traditionellen Stickereien zu finden sind.

Auch das „Solange“ Kunstprojekt von Katharina Cibulka fällt für mich in die Kategorie subversiver Stickereien: Die Künstlerin hüllt Gebäude in Bauplanen, auf die sie riesengroß in roter Farbe Sätze gestickt hat, nach dem Schema: „Solange [hier einen unhaltbaren Zustand deiner Wahl einsetzen] bin ich Feministin.“

Zum Beispiel: „SOLONG ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in“ stand am Rathaus in Bad Ischl während des Kulturhauptstadt-Jahres 2024.

„Scheiß auf den Scheiß“

‚Für den Workshop hatte ich Material (Stoffe und Garne) vorbereitet und mitgebracht, sowie einen Spruch vorbereitet, der für mich sehr gut zur derzeitigen politischen Lage unserer Welt passt.

Diese Vorlage kannst du herunterladen. Wenn du magst, kannst du mir dafür einen Kaffe spendieren.

Benötigtes Material

  •  „Aida“ Stoffe, bei denen die Kästchen gut zu sehen sind, oder gleichmäßig gewebte Stoffe aus Baumwolle oder Leinen. (Stramin eignet sich besser für füllende Techniken wie Gobelin oder Bargello.)
  • Für Küchentücher: Kochfeste Baumwoll- oder Halbleinen oder Leinen-Geschirrtücher. Es gibt welche mit eingewebtem Muster-Streifen, oder man kann einen Streifen Aida oder Zählstoff aufnähen (Dann ist es auch nicht so wichtig, wie die Rückseite aussieht.)
  • Kochfeste Stickgarne: Mouliné-Garn (den Faden kann man teilen und nur mit 2 oder 3 Fäden sticken), Perlgarn (unteilbar), Coton à broder (unteilbar) oder Sashiko-Garne (unteilbar). 
  • Eine stumpfe Sticknadel (großes Öhr)
  • Eventuell eine spitze Sticknadel (großes Öhr) zum Vernähen.
  • Eine kleine Schere
  • Ein Stickrahmen, den inneren Teil am besten mit schmalem Baumwoll-Köperband umwickelt, damit der Rahmen mehr Reibung bekommt.

Wie bekommst du das Muster auf den Stoff?

Nicht jede Kursteilnehmerin wollte so schlechte Worte in den Mund nehmen, oder zu Stoff bringen. Diese Damen haben sich ein anderes Wort überlegt und selbst auf Karopapier vorgezeichent.

  • Wähle eine Schriftart und eventuell ein Muster (Beispiele im Anhang), das dir gefällt. Eine Sammlung von 53 kostenlosen Schriften findest du auf https://lordlibidan.com/53-free-cross-stitch-alphabets/
  • Am einfachsten ist es, wenn du deinen gewünschten Text auf Karopapier oder in eine Excel-Tabelle „schreibst“. In Excel kannst du die Tabellenfelder schmäler ziehen, sodass sie zu Quadraten werden. Dann kannst du den einzelnen Quadraten jeweils eine Hintergrundfarbe zuweisen. Das Muster oben habe ich in Excel „gemalt“. (Es gibt auch spezialisierte Kreuzstich-Programme: Ich recherchiere gerade, was da vernünftig und leistbar ist.)
  • Zähle deinen Stoff aus, um zu bestimmen, wie groß die Schrift/das Wort/der Satz/ das Muster werden darf. Bei Zählstoffen hast du die Möglichkeit, die Kreuzchen über 2 oder 3 Fäden zu sticken. Aida-Stoff, der so gewebt ist, dass die „Kästchen“ besser zu sehen sind, gibt es mit verschieden vielen Kästchen pro cm bzw. Inch.
  • Lege die Position deines Motivs auf dem Textil fest: Du kannst dein Motiv am einfachsten zentrieren, wenn du die die Mitte zwischen oben und unten, und die Mitte zwischen linkem und rechtem Rand deines Stoffstücks bestimmst. UND die Mitte-Mitte deines Motivs!
  • Beginne von der Mitte aus, dein Motiv aufzubauen = sticken

So mache ich es

Das Muster entwerfen ist ein Wechselspiel aus:

  • Wie viel Fäden pro cm hat der Stoff?
  • Wie viel Platz habe ich Dimension/ Einschränkung) bzw. auch wie groß darf es werden (über 1, 2 oder 3 Fäden oder Kästchen sticken?)
  • Welche Schrift und Schriftgröße nehme ich daher?

Das ist unter Umständen ein bisschen hin und her (ein „iterativer Prozess“).
Der Entwurf ist für mich der anspruchsvollste Teil des Prozesses.
Wenn die Vorlage steht, ist es eigentlich „nur mehr“ Umsetzung: Sticken und Zählen.

Wenn ich das Muster entworfen habe und zentriert ausrichten will, bestimme ich die Mitte des Musters, und dann die Mitte des Stoffes zuerst durch Falten und markiere sie mit Stecknadeln. Bei kleinen Projekten reicht das, bei größeren Projekten mache ich alle 10 Einheiten Markierungen mit einem feinen Nähgarn in Kontrastfarbe. So ein Raster hilft später ungemein bei der Orientierung!

Je nachdem, wie grob oder fein der Stoff ist, wie groß oder klein die Kästchen werden sollen, teile ich das Mouliné-Garn und nehme 2, 3, oder auch alle 6 Fäden zum Sticken.

Ich steche gerne von oben ein und lasse das Ende oben herausschauen. So stört das Fadenende auf der Rückseite nicht.   Alternativ: Das Fadenende gleich zu Beginn hinter den ersten Stichen verstecken. Das funktioniert besser, wenn man Flächen füllt.

Hinten vernähe ich gerne einfach quer. („Traditionell“ wäre: längs vernähen.) Manchmal wechsle ich zum Vernähen auf eine spitze Nadel.


Habe ich dir Lust darauf gemacht, ein bisschen subversiv zu kreuzsticken?

Zur Ermutigung in unserer schwierigen Zeit möchte ich noch ein Bild mit dir teilen, das Shannon Downey auf subversivecrosstitch.com gepostet hat: 

Ich jedenfalls bin gerade dabei, noch ein bisschen mehr von meinem Frust über diverse derzeitige politische Gegebenheiten  in Kreuzstich zu kanalisieren. 

Ich habe auch gerade ein weiteres Buch bestellt, das derzeit in meiner Handarbeits-Bubble kursiert: „Let’s move the Needle: An Activism Handbook for Artists, Crafters, Creatives, and Makers“ von Shannon Downey (erschienen im Herbst 2024, ISBN: 978-1635868906)

Darin geht es vorwiegend um Aktionen verbunden mit dem Sticken, aber ich habe im Hinterkopf, dass man ja auch mit Häkeln, Stricken oder Patchwork Subversives anstellen kann. Stichwort: Yarnbombing.

In diesem Sinne: Lass Dich nicht entmutigen von politischem Wahnsinn! Tue Gutes in Deinem privaten und beruflichen Umfeld. Da, wo du dich nicht ausgeliefert fühlen musst, sondern selbst etwas Positives bewirken kannst.

In kleinen Schritten, da bin ich sicher, können wir gemeinsam dem Wahnsinn etwas entgegenhalten. 

8 Kommentare zu „Kreuzstich, gar nicht brav“

  1. „….Zur Ermutigung in unserer schwierigen Zeit möchte ich noch ein Bild mit dir teilen, das Shannon Downey ….“

    An den Kreierer (M.G.) dieser Saetze habe ich auch kuerzlich gedacht, als jemand Anderer – u.A. – unter dem (ploetzlichen ?!) ‚cultural backflip’* von ‚Extrem-Wichtigkeit von Bekleidungs-Richtlinien‘ einer anderen Nation zu leiden kam. Muss aber evtl. wirklich mal ca. interneten „Mahatma Gandhi in western style Anzug?“, da ich ihn wirklich gar nicht anders kenne als in seinem ‚Minimal-Anzug‘. VOR seiner Zeit als „M.G., worldpower“ vermutlich ? Als er seine Allerwelts-alltags-Tauglichkeit auch noch mit einem Anzug beweisen musste ?

    Ansonsten hoffe/wuensche ich allen Subversive-Crossstitchern von Herzen, dass sie ihre – wenngleich huebschen – Werke gelegentlich ignorieren koennen d.h., nicht staendig brauchen zum Frustablassen, sondern auch positivere Zeiten abbekommen.
    Hierzu mein persoenlicher Frust-Satz: “ ‚Zefix, immer muss man alllles selber machen “
    (= ich braeuchte bitte dringend eine Totenkopf&Blitz&Donner-Stickvorlage; bitte/danke 😉 😉 !)

    Liebe Gruesse

    * waren frueher m.W. (= Korrektur evtl. noetig \../ ?) aber DIE Nation, welche ’strict dresscode‘ ab- (aehem) ‚milderte‘. O.k., hat man dann eben wieder einen besseren Griff an die Gurgel des jeweiligen Opponenten (= per Zug an der Krawatte 😉 :-D) ?
    Wie man aber eben im Laufe eines gesegneten hoeheren Alters gelernt hat und sich ab ca. 30ten Lebensjahr sicherlich kaum mehr betruegen laesst: INhalt zaehlt viiiiel mehr als ein chicer Anzug!

    1. Der Spruch gefällt mir, den klau ich mir! Nach einem Totenkopf-Motiv habe ich auch schon gesucht, und bin auf Pinterest fündig geworden. Da gibt’s einige zur Inspriation. Liebe Grüße, Gabi

  2. Das ist eine gute Erklärung für Nichtstickerinnen. Vielen Dank. Und mal einen tollen Spruch sticken wäre eine gute Idee. Beste Grüße von Rela –

  3. Nachdem ich das mit der Anmeldung zum Workshop ja versemmelt hatte, bin ich froh, dass du das Thema und auch das Muster-Sprüchlein hier am Blog auch zeigst. Die Ausstellung werde ich mir auf jeden Fall auch noch anschauen. Und den Spruch sticken. Neues habe ich auch gelernt, ich hangle mich nämlich immer von einer Seite zur anderen durch mein Kreuzstichmuster. In der Mitte anzufangen, auf die Idee bin ich noch nicht gekommen. Aber ich bin ja auch Kreuzstich-Autoditaktin 😉
    Liebe Grüße, heike

    1. Die Ausstellung wirkt zunächst unspektakulär, aber ich finde sie wirklich sehenswert. Die Vielfalt liegt im Detail. Du musst nicht unbedingt in der Mitte anfangen. Du kannst auch von der Mitte weg zählen zum Anfang. Oder – wenn es ein größeres Muster ist, bietet sich das an – alle 10 Einheiten oder Kästchen dünne Fäden säumen oder Linien ziehen, die den ganzen Stoff rastern. Das habe ich bei den Jahreszeiten-Stickbannern (Sommer, Herbst) gemacht, die ich in diesem Blogpost vorgestellt habe. Der relativ große Aufwand vor dem eigentlichen Start eines Stickprojektes zahlt sich später sowas von aus! Im Übrigen bin ich auch Autodidaktin im Kreuzsticken. Ich mache es vielleicht nur schon etwas länger (seit meiner Volksschulzeit). Liebe Grüße, Gabi

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